Artikel - SPD und Kirche

Sozialdemokratisch und in der Kirche sein?
1. Zur Geschichte der Sozialdemokratie und ihrer Beziehung zur Kirche
Geht das? Ja, das geht! Aber es war aber nicht immer so. Ein kurzer Blick in die Geschichte:
Seit 160 Jahren gibt es die SPD. Ursprung und Prägung der SPD liegen in der frühen
Arbeiterbewegung. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts gründeten sich in Europa
Arbeitervereine. So auch 1863 der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein unter Ferdinand
Lasalle. Ursprung und Prägung der SPD lagen auch in der Religionskritik der französischen
Aufklärungsphilosophen wie bei Ludwig Feuerbach und Karl Marx.
Die in Handwerksbünden organisierte Arbeiterbewegung im Frühsozialismus – also bis zur
Revolution von 1848 – sah durchaus eine Übereinstimmung zwischen ihren politischen
Idealen und dem Evangelium der Bibel. Bald dominierten jedoch die Vorstellungen des
„Historischen Materialismus. Für ihn war die von den Großkirchen verordnete Religion nichts als der ideologische Überbau der bürgerlichen Gesellschaft.
Das Gothaer Gründungsprogramm der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands erklärte
deshalb die Religion als Privatsache. Für August Bebel, einen der Gründerväter der SPD war Christentum und Sozialismus „wie Feuer und Wasser“. Sein Gedanke war, dass Religion durch eine auf soziale Gerechtigkeit gegründete Politik überflüssig sei. Nicht nur Kirche, sondern auch Politik könne nach ethisch-moralischen Prinzipien zum Wohl der Gesellschaft handeln. In den ersten einhundert Jahren war das Verhältnis zwischen den Sozialisten und den beiden großen Kirchen in Deutschland bestimmt durch ein klares gegenseitiges Feindbild.
Das Gothaer Gründungsprogramm wandte sich gegen die monarchistischen Tendenzen im
von Preußen dominierten Norddeutschen Bund, dem Vorläufer des Kaiserreichs. Bismarck
wiederum fürchtete die in seinen Augen revolutionären Bestrebungen der „Sozialisten“. Im
Zusammenhang mit dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 geriet die SPD in den
Verdacht, staatsgefährdend zu sein, weil sie den Krieg nicht unterstützt hatte.
Die Sozialdemokratie löste bald den politischen Katholizismus als Staatsfeind Nummer Eins ab. Mit der Stimmenmehrheit der Konservativen und Nationalliberalen wurden im Reichstag 1878 die „Sozialistengesetze“ gegen die „gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie verabschiedet.
Mit Gesetzen und polizeistaatlichen Maßnahmen konnte die Verbreitung der sozialistischen Ideen jedoch nicht verhindert werden. Vielmehr wurde das Klassenbewusstsein in der Arbeiterschaft und die Opposition gegen den konservativen Staat gestärkt. Die Sozialistengesetze und ihre Auswirkungen führten bei sehr vielen Menschen zur Verbitterung gegenüber einem Staat, dem das Proletariat offensichtlich gleichgültig geworden und zur Entfremdung gegenüber der Kirche.
Die Kirche war seit dem Mittelalter immer staatstragend. Auch nach der Reformation zu
Anfang des 16. Jahrhunderts blieb dies so. Thron und Altar waren eng miteinander
verbunden. Mit dem von Bismarck eröffneten „Kulturkampf“ zwischen Staat und Kirche ändert sich dies schlagartig. Mit dem sogenannten „Kanzelparagraphen“ untersagte die
Staatsführung unter Bismarck den Theologen, sich öffentlich zu politischen Fragen zu äußern. Dies sollte vor allem den Einfluss der katholischen Kirche einschränken. Die Einführung der Zivilehe und die staatliche Schulaufsicht dienten demselben Zweck.
Die protestantische Kirche dagegen wurde in diesem Zusammenhang eher als
staatskonform angesehen, da sie davon ausgeht, dass alle Obrigkeit von Gott eingesetzt und darum nicht in Zweifel zu ziehen ist. Das wachsende Elend unter den Arbeitern in den
städtischen Ballungszentren wird allerdings auch von den Kirchen gesehen. Anstatt jedoch
die politische Linke im Kampf gegen die Armut und für Freiheit und Gleichheit zu unterstützen, entstehen innerhalb der Kirche eigene Organisationsformen, um den Kampf gegen die „Verelendung der Massen“ aufzunehmen. Es ist die Geburtsstunde der Diakonie.
Viele Menschen begrüßen das diakonische und caritative Engagement der Kirchen gegen
die Armut und das Elend. Aber dieses Engagement ist begründet mit einer christlichen
Haltung, die vor allem durch Mitleid, Barmherzigkeit und durch den Gedanken eines Dienstes am Nächsten bestimmt ist - und nicht dadurch, etwas politisch verändern zu wollen.
Diese Haltung ist wiederum ganz im Sinne des autoritären, monarchischen Staates. Er
unterstützt die diakonischen Aktivitäten in der Kirche nachdrücklich. Zum Beispiel geschieht dies in den von Bodelschwingh´schen Anstalten in Bethel, aber auch in vielen anderen kirchennahen diakonischen Einrichtungen. Evangelische Stifte und Krankenhäuser tragen zum Teil die Namen von Mitgliedern der herrschenden Königshäuser – meistens der Namen von Ehefrauen und Töchtern.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde im Jahre 1919 die Trennung von Kirche und Staat durch
die Weimarer Verfassung rechtlich vollzogen. Das heutige Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland nimmt darauf Bezug, wenn es das „getrennte Miteinander“ von Staat und Kirche formuliert.
Nach dem Zweiten Weltkrieg geht es im zerstörten Land um Nothilfe und Wiederaufbau. Um diese staatliche Aufgabe zu bewältigen werden Diakonie und Caritas eingebunden. Der Staat stellt ihnen erhebliche Finanzmittel zur Verfügung. Das ist bis heute so. Nach dem Zweiten Weltkrieg kommt es zur Annäherung zwischen SPD und evangelischer Kirche. Nicht zuletzt aufgrund gemeinsamer Erfahrung durch die Verfolgung in der nationalsozialistischen Zeit. Man erkannte gemeinsame Ziele im Hinblick auf soziale Gerechtigkeit, Menschenwürde und
Frieden.
Im Jahr 1959 bekräftigte die SPD in ihrem Godesberger Programm zum ersten Mal, dass der Sozialismus als Idee keine Ersatzreligion ist und unterstrich die Bedeutung der Kirchen für die Gesellschaft. Ausdrücklich wurde die „Achtung vor den Glaubensentscheidungen der Menschen“ benannt:
„Der demokratische Sozialismus, der in Europa in christlicher Ethik, im Humanismus und in
der klassischen Philosophie verwurzelt ist, will keine letzten Wahrheiten verkünden (…) aus
der Achtung vor den Glaubensentscheidungen des Menschen, über deren Inhalt weder eine politische Partei noch der Staat zu bestimmen haben.“ Und weiter: “Die Sozialdemokratische Partei achtet die Kirchen und die Religionsgemeinschaften, ihren besonderen Auftrag und ihre Eigenständigkeit. Sie bejaht ihren öffentlich-rechtlichen Schutz. (…) Sie begrüßt es, dass Menschen aus ihrer religiösen Bindung heraus eine Verpflichtung zum sozialen Handeln und zur Verantwortung in der Gesellschaft bejahen. Freiheit des Denkens, des Glaubens und des Gewissens und die Freiheit der Verkündigung sind zu sichern...“
Seit den 1970er Jahren entwickelte die SPD strukturell wie persönlich tiefere Kontakte zur
Kirche – besonders durch Persönlichkeiten wie Johannes Rau und Jochen Vogel, die sich
als beides verstanden: Sozialdemokraten und Christen. Die Bedeutung der Religion innerhalb und für die SPD ist gewachsen. Unbeschadet des Mitgliederschwundes auch in der evangelischen Kirche ist es bemerkenswert, dass etwa 45 Prozent der Sozialdemokraten im Jahr 2022 evangelisch waren.
In ihrem Sozialwort von 1997 haben die evangelische und die katholische Kirche es als
zentrales Anliegen der Kirchen bezeichnet, „zu einer Verständigung über die Grundlagen und Perspektiven einer menschenwürdigen, freien, gerechten und solidarischen Ordnung von Staat und Gesellschaft beizutragen.“ Die Kirchen leisten einen beachtenswerten sozialproduktiven und die Demokratie stabilisierenden Beitrag. Diese Funktion der Kirche als Leistungsträgerin in der Gesellschaft und Stütze staatlicher Strukturen legitimiert den
Anspruch, das Gemeinwesen mit zu gestalten.
2. Jüdisch-christliche Wurzeln des Sozialismus
Jenseits unserer eigenen Geschichte der letzten einhundert Jahre lohnt es sich, einen kurzen Blick auf die Geschichte Israels zu werfen, weil hier die Wurzeln unserer jüdisch-christlich geprägten Gesellschaft liegen. Über Jahrhunderte waren im alten Israel die
Herrschaftsverhältnisse geprägt durch Latifundienwirtschaft und Schuldsklaverei. Arme
Familien mussten sich verschulden, um zu überleben. Von den reichen Großgrundbesitzern
wurden sie in Verarmung und Abhängigkeit getrieben.
Die hebräische Bibel, der Tanach enthält deshalb eine Reihe von Geboten, welche die
Rechte verarmter und mittelloser gesellschaftlicher Gruppen und Einzelner schützte.
Gerechtigkeit, Schutz und Nächstenliebe ihnen gegenüber galt geradezu als Kriterium
darüber, ob das Gemeinwesen vor Gott bestehen konnte.
Propheten übten scharfe Kritik am Verhalten der Herrschenden indem sie klar machten, dass die Existenz des Staates auf den Säulen: Recht und Gerechtigkeit, Gleichheit und
Barmherzigkeit ruhen – und natürlich darauf, Gott als Schöpfer und Herrscher der
anzuerkennen – und auch als Richter.
Jesus knüpft daran an. Er tritt ein für Recht und Gerechtigkeit. Er betont, dass weltliche Macht immer nur relativ ist, weil sie sich gegenüber Gott bewähren muss. Er tritt ein für
Nächstenliebe und Barmherzigkeit und macht sie zum Kriterium für den Eintritt in das „Reich Gottes“. Für Jesus ist das Bewusstsein eigener Bedürftigkeit grundlegend für das Leben vor Gott. Er nennt Menschen, die leiden müssen, verfolgt oder ungerecht behandelt werden „selig“. Er bezeichnet Menschen, die für Frieden eintreten als „Gottes Kinder“. Reichtum ist für ihn ein Hindernis für ein gutes, gottgefälliges Leben.
Und in den frühen christlichen Gemeinden spielt der Gedanke der Gleichheit vor Gott eine
zentrale Rolle. Gesellschaftliche, wirtschaftliche, kulturelle und sprachliche Unterschiede
ebenso wie die Genderunterschiede werden durch diesen Gedanken aufgehoben.
In der Geschichte der Kirche wurden diese Grundüberzeugungen auf vielfache Weise
verraten zugunsten autoritärer, hierarchischer institutioneller Strukturen. Aber nicht alle
haben dies hingenommen, sondern basisdemokratisches Denken und Handeln auch in der
Kirche gefordert.
3. Die Religiösen Sozialisten
Der evangelische Pfarrer Christoph Blumhardt verlangte Anfang des 20. Jahrhunderts
verlangte eine radikale, die Welt umstürzende Hinwendung zum Mitmenschen und seiner
Not. Dieser Herausforderung verweigere sich das Christentum, indem es mit dem
Nationalismus, Imperialismus und dem Mammon (Kapitalismus) paktiere. Deshalb bekannte sich Blumhardt auf einer lokalen SPD-Versammlung zum Sozialismus. Er verstand die Sozialdemokratie als Wirken Gottes in der Geschichte. Daraufhin wurde er von der Kirchenleitung entlassen.
Blumhardt beeinflusste entscheidend die Schweizer Theologen Hermann Kutter und
Leonhard Ragaz. Sie prägten den Begriff „Religiöser Sozialismus“. Ragaz:
„Der religiöse Sozialismus ist ein Verständnis des( …) Christentums, dass dessen sozialen
Sinn ins licht stellt… (Und) der religiöse Sozialismus ist ein Verständnis des (…) Sozialismus,
das dessen religiösen Sinn ins Licht stellt“.
Es geht um ein bestimmtes Verständnis bereits vorhandener Ideen und Konzepte des
Sozialismus und des christlichen Glaubens mit dem Anspruch, deren wahren Sinn
aufzudecken. Kutter und Ragaz nehmen damit bewusst eine grundsätzlich positive Haltung zur Sozialdemokratie ein. Der bekannte Schweizer Theologe Karl Barth fordert kurz nach seinem Eintritt in die Sozialdemokratische Partei der Schweiz im Februar 1915:
„Ein wirklicher Christ muß Sozialist werden, wenn er mit der Reformation des Christentums
Ernst machen will. (Und) ein wirklicher Sozialist muß Christ sein, wenn ihm an der
Reformation des Sozialismus gelegen ist.“
Ein anderer bekannter Theologe, Paul Tillich definiert den Begriff „Religiöser
Sozialismus“ 1930 so:
„Religiöser Sozialismus ist der Versuch, en Sozialismus religiös zu verstehen und aus diesem Verständnis heraus zu gestalten und zugleich das Prinzip auf die soziale Wirklichkeit zu beziehen und in ihr zur Gestalt zu bringen.“
Die meisten religiösen Sozialisten vertraten einen demokratischen Sozialismus. Das
Verhältnis zum Marxismus war umstritten. Marx ebenso wie Friedrich Engels grenzten sich
wiederum schon früh scharf gegen religiöse sozialistische Ideen ab, die in seinen Augen die Emanzipation des Proletariats verhinderte, weil sie die Massen nur vertrösten und die
Ursachen ihres Elends nur verschleiern würden.
Die marxistische Sicht prägte die deutsche Sozialdemokratie im deutschen Kaiserreich. Bis
1918 und darüber hinaus wurden die Kirchen dort durchweg als wesentliche Stütze der
Monarchie und des Kapitalismus gesehen. Nur sehr wenige evangelische Pfarrer traten in
sozialdemokratische Organisationen ein.
Nach 1945 fanden emigrierte und überlebende Religiöse Sozialisten sich zunächst in
regionalen Gruppen wieder zusammen. Nach der 1949 vollzogenen Teilung Deutschlands
lehnten die meisten die Zusammenarbeit mit Kommunisten ab, während die Annäherung
zwischen Protestanten und Sozialdemokraten, wie sie das Godesberger Programm der SPD von 1959 ausdrückte, begrüßt wurde.
4. Die gegenwärtige Beziehung zwischen Sozialdemokratie und Evangelischer
Kirche
In der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) haben religiös-sozialistische Ideen
erheblichen Einfluss gehabt. Zum Beispiel im Hinblick auf eine evangelische Sozialethik und bei der Formulierung der Ostdenkschrift der EKD von 1965. Später spielten Religiöse
Sozialisten im Kontext mit der Friedensbewegung und bei der Überwindung der deutschen Teilung eine wesentliche Rolle.
Seit den Ursprüngen der Demokratie im antiken Griechenland des 5. Jahrhunderts hat sich
die Demokratie früh zur Wehr setzen müssen gegen die Machtansprüche von Eliten
(Oligarchen) und Tyrannen. Mit Blick auf das heutige Russland und die zunehmende
Verbreitung autoritärer Herrschaftsansprüche auch in Europa ist das so geblieben. In der
Demokratie geht es um Befreiung und Emanzipation aus unterdrückenden Herrschaftsverhältnissen. Es geht um gleiches Recht für alle und um gemeinsame
Wertvorstellungen wie Gerechtigkeit, Menschlichkeit, Beachtung der Würde des Menschen, Solidarität und Barmherzigkeit, gegenseitigen Respekt und Frieden im Umgang miteinander. Es geht um das allgemeine Wohlergehen und um ein friedliches Zusammenleben im eigenen Land und mit den Nachbarvölkern. Der demokratische Alltag ist bestimmt von permanenter Bemühung um Kompromisse statt gewaltsamer Durchsetzung nur der eigenen Interessen.
Es ist offensichtlich, dass rein marktwirtschaftliches Denken keine Moral- und
Wertvorstellungen hervorbringen kann. Dazu braucht es kulturell, philosophisch oder religiös begründete Grundwerte, die von Einzelnen und von Institution getragen werden. In unserer Gesellschaft insbesondere durch die großen Kirchen. Immer noch. Aber wie lange noch?
Ist Kirche überholt? Ist Kirche ein anachronistisches Relikt, während die Gesellschaft sich
längst weiterentwickelt hat? Aber haben wir uns wirklich weiterentwickelt im Hinblick auf
verbindliche, krisenfeste Wertvorstellungen und tragfähige Grundüberzeugungen? Oder
befinden wir uns nicht vielmehr in einem Gesellschafts- und Wirtschaftssystem, das
systematisch und strukturell auf permanente Leistungssteigerung und Selbstoptimierung
ausgerichtet ist?
Um den erreichten Wohlstand auch nur als status quo zu erhalten müssen wir immer mehr
Energie aufwenden. Um Wirtschaftswachstum zu erzielen muss die Die Produktivität ständig erhöht werden. Produkt- und Prozessinnovation müssen vorangetrieben werden. Ohne Wachstum, so die Befürchtung gibt es nicht nur Stillstand, sondern rasanten Rückschritt.
Unser ganzes gesellschaftliches und wirtschaftliches System lebt davon, dass wir ständig
wachsen müssen. Markt und Kapitalismus haben die Ressourcen geschaffen, über die wir
heute verfügen. Aber was ist das Ziel einer demokratischen Gesellschaft – jenseits des
bloßen Wachstums?
Ich nenne einige Ziele. Die Würde des Einzelnen und den Frieden im Inneren bewahren. Den äußeren Frieden sichern. Das Klima und unseren Lebensraumschützen und bewahren. Für die Einhaltung der Verfassungsrechte sorgen. Teilhabe am Wohlstand, an Bildung und Kultur ermöglichen. Minderheiten und Menschen mit Migrationshintergrund schützen. Ebenso die Schwachen und Benachteiligten. Gesellschaftliche Integration fördern. Teilhabe an Bildung und Kultur ermöglichen. Sicherungssysteme im Hinblick auf soziale Notlagen garantieren.
Es sind demokratische Errungenschaften. Dagegen haben autoritäre Systeme ein
zerstörerisches Potential in sich. Sie sind tickende Zeitbomben. Demokratische
Gesellschaften dagegen können ihr kreatives Potential in Freiheit entfalten. Die Kirchen in
unserer Gesellschaft sind schon seit langem damit konfrontiert, dass sie massiv Mitglieder
verlieren. Jedes Jahr etwa eine halbe Million. Kirchliche Immobilien werden deshalb verkauft, Kirchengemeinden zusammengelegt, Personal abgebaut, Service eingeschränkt.
Von Großunternehmen in der Wirtschaft weiß man, dass ein solcher Schrumpfungsprozess
in wachsender Geschwindigkeit verläuft und nicht voraussehbar ist, wann und ob dieser
Prozess aufzuhalten ist. Der Bedeutungsverlust der Kirchen bei uns ist inzwischen so groß,
dass der „Heiland“ dort von den meisten Menschen, vielleicht sogar von den eigenen
Mitgliedern nicht mehr gesucht wird. Übrigens gibt es zur selben Zeit in afrikanischen
evangelischen Kirchen ein rasantes Wachstum der Mitgliederzahlen.
Zum Beispiel gibt es in der Evangelischen Mekane Yesus Kirche in Äthiopien ein Wachstum
von einer halben Million – jährlich. Das entspricht ziemlich genau dem jährlichen Verlust der Kirchen in Deutschland. Es geht also eigentlich um eine geografische Verschiebung der Bedeutung der christlichen Kirchen.
5. Die aktuelle gemeinsame Herausforderung für Sozialdemokratie und
Evangelische Kirche
Die SPD und die evangelischen Kirchen haben viele Themen gemeinsam, besonders die
Themen: soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte und Frieden. In den prophetischen Texten
geht es immer wieder darum, dass ohne die Beachtung von Recht und Gerechtigkeit kein
sozialer Frieden möglich ist. Dabei wird schon früh der Zusammenhang von formal-
juristischer Rechtsprechung und tatsächlich gelebter Gerechtigkeit erkannt. Beide sind zu
unterscheiden und gehören unlösbar zusammen. Nach biblischem Verständnis steht dafür
Gott selbst. Nicht der Mensch, sondern Gott steht im Mittelpunkt. Durch die Gottesidee wird der Mensch mit seiner Selbstüberschätzung konfrontiert.
In der Geschichte des Sozialismus und der Sozialdemokratie war von Anfang an die Ideen
des aufgeklärten Humanismus zentral. Ein christlicher „Überbau“ wurde, gelinde gesagt als
überflüssig betrachtet. Und jeder dogmatisch-ideologisch begründete kirchliche Wahrheitsanspruch abgelehnt.
Mit Beginn der 1970er Jahren gab es in Deutschland und anderen Teilen Europas
tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen. In der Kirche wurden die interdisziplinären
Wissenschaften und insbesondere die Humanwissenschaften „entdeckt“ und zum Beispiel in die soziale, seelsorgliche und pädagogische Arbeit integriert.
Die Frage, ob der Mensch oder Gott im Mittelpunkt stehen, wurde durch eine veränderte
kirchliche Praxis beantwortet, in der es um das „Zusammenspiel“ von Gott und Mensch geht. Das heißt der ideologisch-dogmatisch geführte Streit um die Wahrheit „an sich“ wurde abgelöst durch einen veränderten Blick auf das Zusammenleben und das Leben insgesamt.
Es ging jetzt um das (jeweilige) Gottes- und Menschenbild und nicht mehr um die Fragen:
Wer ist der Mensch? Wer ist Gott? Der jeweils reklamierte Wahrheits- und
Erlösungsanspruch ebenso wie das jeweils reklamierte Recht auf die Deutung von
Verhältnissen und Geschehen wurden entlarvt als das, was sie sind: Anspruch – und nicht
die Wahrheit an sich.
Das theologisch begründete Festhalten am Gottesbegriff ist für viele Sozialdemokraten und linke Sozialisten ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zu Kirche und ihrem (sozialen) Handeln. Schöpfungstheologisch geht es darum, Gott die (alleinige) Ehre zu geben und die Bruchstückhaftigkeit und Vorläufigkeit des Lebens zu akzeptieren.
Er hat den Menschen und alles geschaffen. Nach unserer demokratischen Überzeugung geht es um das Verfassungsrecht. Darin steht die Beachtung der Würde des Menschen an erster Stelle. Theologisch gesehen leitet ich die Würde des Menschen aus seiner Beziehung zu Gott ab – oder genauer: aus Gottes Beziehung zum Menschen ab. Biblisch gesehen beruht die Würde des Menschen darin, dass er von Gott geschaffen wurde und nicht sich selbst erschaffen hat.
Im 8. Psalm wird der von Gott geschaffene Mensch in seiner Schönheit und mit seinen
Möglichkeiten beschrieben. Auch an anderen Stellen der Bibel wird der Mensch mit seinem großen kreativen Potential beschrieben. Daraus folgt die Dankbarkeit des Menschen gegenüber Gott. Der Mensch ist sich sowohl seiner Möglichkeiten wie auch seiner Zerbrechlichkeit, Bedürftigkeit und Begrenztheit bewusst. Zum Menschsein gehört auch sein destruktiv-aggressivem Potential. Fehlendes oder mangelndes Bewusstsein der eigenen Begrenztheit (Geschöpflichkeit) wird als Selbstüberschätzung (Gottesferne) entlarvt.
Die Bewahrung des Menschen und der ganzen Schöpfung ist ein zentrales biblisches Thema. Und ebenso ein großes, aktuelles politisches Thema (Klimaschutz). Ein anderes zentrales biblisches Thema ist der Zusammenhang von Versöhnung und Frieden. In vielen biblischen Texten wird der Mensch „von Natur aus“ als streitsüchtig und selbstbezogen beschrieben.
Darüber hinaus auch als zerrissen in sich selbst. Heilung (individuell) und Versöhnung (sozial) werden als lebensnotwendig angesehen. Nach zwei von Deutschland ausgegangenen, verlorenen Kriegen hat deutsche Politik begriffen, wie wichtig die Versöhnung mit seinen Nachbarländern ist und die europäische Friedenspolitik ist.
Ein weiteres gemeinsames Thema ist die soziale Verantwortung. Im Hinblick darauf sind
zentrale biblische Geschichten wie die überlieferte Geschichte vom „Barmherzigen
Samariter.“ Die Grenze für mein persönliches Streben nach Vorteil und Gewinn ist die
Beachtung des Wohlergehens meines Nachbarn. Ungezügelter „Raubtierkapitalismus“ und
„freie, grenzenlose Marktwirtschaft“ müssen eingehegt werden durch soziale Verantwortung für die Schwächeren.
Aus biblischer Sicht sind die Schwachen in der Gesellschaft nicht nur eine Zielgruppe für
barmherziges Handeln, sondern ein Spiegel, in dem wir unsere eigene Bedürftigkeit,
Zerbrechlichkeit und Zerrissenheit erkennen können. Dies begründet solidarisches Handeln in der Kirche. Die für Kirche und Politik offene Frage ist: Wie umgehen mit Widersprüchen und Ambivalenzen, mit Vorläufigkeit und Kompromiss, mit Versagen und Schuld?
6. Was tun?
Die Europawahl hat auf erschreckende Weise gezeigt, dass auch eine große, allein schon
durch ihre lange Geschichte bedeutungsvolle Partei wie die SPD einen massiven
Wählerschwund hinnehmen muss. Dass alte Wertvorstellungen und Ideen keine Zugkraft
mehr haben. Dass auf erschreckende und geschichtsvergessene Weise rechtsradikale,
faschistische Parteien in ganz Europa an Boden gewinnen.
Nach der Wahl geht es vor allem in den demokratischen Parteien, die einen massiven
Stimmeneinbruch zu verzeichnen haben um die Wahlanalyse: Was haben wir getan oder
nicht getan, dass es zu einem solchen Stimmeneinbruch kommen konnte? Ähnliche Fragen gibt es bei den Kirchen. Aber könnte es sein, dass solche Analysen schon im Ansatz ihr Ziel verfehlen? Weil auch sie davon ausgehen, dass es um Wachstum oder zumindest um Bewahrung des einmal Erreichten geht.
Könnte es sein, dass es viel grundsätzlicher um die Frage geht, in welcher Gesellschaft wir
in Zukunft leben wollen? Oder noch grundsätzlicher: Haben wir selbst und unsere Kinder
überhaupt noch die Chance, ein hinreichend gutes Leben zu führen? Könnte es sein, dass
die großen Themen im Wahlkampf wie die Rettung des Klimas, Frieden, soziale Gerechtigkeit, Begrenzung der Migration für eine Grundbefindlichkeit stehen, die letztlich mit Grundstimmungen wie Angst, Wut und Hilflosigkeit zu tun haben?
Aber vielleicht geht es auch gar nicht darum, wer die überzeugenderen Antworten gibt. Es
geht am Ende auch nicht darum, ob eine Partei von einem Gericht als gesichert rechtsextrem bezeichnet werden kann. Das ist vielen ohnehin völlig egal. So wie es vielen US-Amerikanern egal ist, ob Trump vorbestraft ist oder lügt. Es geht vielmehr darum, ob man wahrgenommen und gehört wird mit all der Wut und der Angst. Es geht womöglich nicht einmal um politische Ziele, Alternativen und Lösungen, sondern um einen Aufschrei. Der muss nicht in Worte oder Programme gefasst werden. Er muss nur Ausdruck finden. Oft geschieht dies nur diffus. Oft aggressiv. Und womöglich auch selbstzerstörerisch.
Den populistischen, rechtsradikalen freiheits- und europafeindlichen Parteien und
Gruppierungen geht es nicht um Antworten. Es geht ihnen um Heilsversprechen.
Bezeichnenderweise haben sie keine differenzierten politischen Programme, sondern nur
einen Katalog von populistisch-plakativen Forderungen, die sich reduzieren lassen auf den
Slogan: Wir gegen die. Die rhetorische Masche ist die, keine Antworten auf Fragen zu geben und keine Bereitschaft für einen echten Dialog zu zeigen. Vielmehr geht es um Ablenkung und Schuldzuweisung. Einer der Gründe, warum die Gespräche mit Vertretern radikaler, populistischer Positionen unmöglich und im Grunde sinnlos sind. Ihre Gesprächstaktik bewegt sich jenseits der vertrauten und bewährten kommunikativen Regeln.
Fast ein Drittel der Menschen in Deutschland haben kein Vertrauen mehr in die Politik und in Politiker und Politikerinnen. Verbale und körperliche Attacken gegen sie werden von
erschreckend vielen Menschen gebilligt, weil der Respekt ihnen gegenüber als Person und
ihrem Amt verloren gegangen ist. Sie sind faktisch zu Feinden geworden. Könnte es sein,
dass wir es im Grunde nicht mit einer politischen, sondern mit einer „therapeutischen
Situation“ zu tun haben? Weil es eigentlich nicht um die Suche nach einem (besseren)
politischen Programm geht, sondern um die Sehnsucht nach „Erlösung“ aus
Perspektivlosigkeit und Angst. Womöglich durch einen „Heiland“ und „Retter“.
Damit wird ein quasi-religiöser Bereich berührt. Der (verdeckte) Wunsch nach einer neuen
Führergestalt ist dabei (noch) nicht offen ausgesprochen. Der Versuchung, sich als „Retter
der Nation“ anzubieten, sollte jede demokratische Partei widerstehen, weil dies – wie die
Geschichte zeigt – schnell umschlagen kann in Totalitarismus uns Tyrannei.
Meine Beobachtung ist, dass es in politischen Talkshows weniger darum geht, dem anderen zuzuhören und in einem fruchtbaren Dialog zu kommen. Diejenigen, die solche Gespräche moderieren tragen nach meinem Erleben dazu bei., indem auch sie anderen ständig das Wort abschneiden und ins Wort fallen, sodass ein Gedanke und ein Argument gar nicht mehr zu Ende formuliert werden kann.
Das führt zu schlagwortartigen Debatten, in denen komplexe Zusammenhänge nicht mehr
differenziert dargestellt werden können – und womöglich auch nicht sollen. Es sind oft
Wildwest-Debatten. Das Gegenteil von Gesprächskultur. Das leitende Interesse ist oft nicht, die Argumente des anderen zu hören und zu verstehen, sondern ihn so lange zu provozieren und in die Ecke zu treiben, dass ihm oder ihr „die wahre Meinung“ irgendwann „rausrutscht“. Die wird ihm oder ihr dann im weiteren Verlauf vorgehalten.
Die erlernte Gesprächstaktik der rechtsradikalen Teilnehmer und Teilnehmerinnen in
Talkshows und Interviews ist durchschaubar: gerade nicht eingehen auf den anderen,
sondern auf andere Themen ausweichen und zum Gegenangriff übergehen. So wird
vermieden, mit dem anderen in einen echten Dialog und in eine kommunikative Beziehung zu kommen. Die Gesprächspartner in den meisten politischen Talkshows befinden sich in einem permanenten Angriffs- und Verteidígungsmodus. Am Ende sind die Zuhörer und Zuhörerinnen genervt und kommen zum Schluss: Miteinander reden bringt nichts.
In vielen politischen Debatten geht es um Unterstellung, Behauptung und um
„Entlarvung“ der vermuteten „eigentlichen Wahrheit“. Es geht um plakative Meinungen,
Reizworte, Schlagworte. Die Oppositionsparteien ebenso wie die Medien treiben die
Regierungsparteien vor sich her. Die stehen unter einem permanenten Erklärungs- und
Rechtfertigungsdruck und haben Angst davor, dass ihr eigenes Profil für die Wähler und
Wählerinnen nicht mehr erkennbar ist, wenn sie in der Regierungsarbeit „klein beigeben“.
Dies konterkariert die notwendigen politischen Kompromisse, die zur Demokratie
dazugehören. Ebenso gehört Kritik und Opposition zur Demokratie. Die Freiheit der Medien ist ein hohes, unveräußerliches demokratisches Gut. Aber wann beginnt der Missbrauch dieser Freiheit? Wann wird der Missbrauch dieser Freiheit gemeingefährlich?
In der christlichen Tradition gilt, dass die Wahrheit uns frei machen kann. Viele Menschen – auch Kirchenmitglieder – erwarten dies in den Predigten nicht (mehr). Sie erwarten nichts Neues. Sie erwarten vielmehr das Alte, das sie, müde geworden, hinnehmen oder nicht mehr hören wollen. Zur Wahrheit unseres Lebens gehört, dass wir ständig mit Ambivalenzen und Widersprüchen - um uns und in uns selbst – fertig werden müssen. Wenn in Politik und Kirche von dieser Grundbedingung unseres Daseins mehr zu erkennen wäre, gäbe es vermutlich auch einen Zuwachs an Glaubwürdigkeit. Manchmal kann es hilfreich sein, zuzugeben, dass man etwas (auch) nicht weiß. Kann man das den Gläubigen und den Wählerinnen und Wählern zumuten? Um Gottes und der Menschen Willen: Ja!
Was tun? Meine Antwort: Erstmal nichts! Also nicht gleich panisch reagieren und wild agieren. Die Sozialdemokratie in Deutschland hat eine stolze Geschichte. Weil sie ihren
Grundüberzeugungen treu geblieben ist. Sich von populistischen Mehrheitsmeinungen nicht abhängig macht. Unbeirrt bei ihrer Sache bleibt. Sich von Opposition und Medien nicht vor sich hertreiben lässt. Was tun?
Meine Antwort ist: Innehalten. Sich-besinnen. Dafür hat die Kirche in ihrer langen Geschichte schon immer Räume bereitgehalten. In ihren Klöstern, Kathedralen und Dorfkirchen. Das kann ein gesellschaftlicher Beitrag von Kirche sein. Für alle, nicht nur für die eigenen Gläubigen. Innehalten. Das heißt nicht nur, mit dem Agieren aufzuhören, sondern die Richtung zu wechseln: vom Agieren nach außen hin zum Innehalten nach Innen. Hin zu dem, was uns unbedingt betrifft. Was unser Inneres, unser Herz bewegt.
Aufgrund ihrer langen Geschichte verfügen Kirchen über eine Kultur des Innehaltens und
Hörens. Auf Gott. Und auf den Nächsten. Kirchen verfügen über Narrationen, also
weitergegebene Erfahrungsgeschichten und über ein Wissen vom Menschen wie wenige
andere Institutionen. Kirche eröffnet Resonanzräume für Ausgesprochenes und
Unaussprechliches. Dort, wo ich meine Energie nicht mehr auf Selbstrechtfertigung setze,
stehen mir plötzlich freie Ressourcen zur Verfügung.
Innehalten macht mich widerstandsfähig gegen Burnout und Depression. Kirchen und
Sozialdemokratie ist gemeinsam, den Menschen in seiner Geschichte zu sehen. Das heißt,
einen Blick zu haben für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Geschichte zu verstehen,
Themen der Gegenwart zu erkennen und zu diskutieren und die Relevanz für die Zukunft zu sehen.
Dazu gehören u.a. diese Themen: Auskömmliches Leben und Teilhabe am Wohlstand für
armutsgefährdete gesellschaftliche Gruppen (Alleinerziehende Menschen, alte und behinderte Menschen, unangepasste Menschen), Soziale Gerechtigkeit und Verteilungsgerechtigkeit (dazu zählt: Steuergerechtigkeit, angemessene Einkommen,
Anerkennung und Respekt für gesellschaftliche Arbeit), (Einkommens)Solidarität zwischen
den Generationen (Generationenvertrag), „Gendergerechtigkeit“ (Gleichheit), Zukunftssicherung (globaler Frieden).
Alle diese Themen sind auch relevant für die Kirche und ihr gesellschaftliches Handeln.
Zusammenfassend kann man festhalten, dass Kirche und Sozialdemokratie viele
gemeinsame Interessen haben. Was sie verbindet, ist ihre gesellschaftliche Verantwortung
und das Ziel, zu Lösungen und lebenswerten Veränderungen zu kommen – unabhängig
davon ob dies biblisch-theologisch oder humanistisch begründet wird.
Nach Max Weber, dem großen Soziologen zu Beginn des 20. Jahrhunderts kommt es in einer demokratischen Gesellschaft darauf an, intellektuell redlich zu bleiben. Dem anderen keine Böswilligkeit zu unterstellen. Keine falschen Behauptungen aufzustellen. Nicht zu lügen, sondern gemeinsam die Wahrheit und das Gute zu suchen.
In der Praxis heißt das: auf den anderen zu hören. Offen dafür zu sein, dass die Argumente des anderen für mich eine Erweiterung meiner Erkenntnismöglichkeiten sein könnten. Bereit zu sein für einen Dialog, in dem wechselseitige Transformationen stattfinden können, die uns befähigen, neu zu denken und zu handeln.
Die Philosophin und Kämpferin gegen totalitäre Herrschaftsansprüche Hannah Arendt hat
mit ihrem Begriff der Natalität ein überraschendes Hoffnungszeichen gesetzt. Sie plädiert für eine offene Zukunft, die im verantwortlichen Handeln der Menschen als „gebürtige“ Wesen immer wieder neu in die Welt kommt. Für Hannah Arendt ist das Geboren sein die
Grundbedingung menschlicher Existenz. Wenn neue Ideen geboren werden und Menschen verantwortlich handeln, geschehen immer wieder hoffnungsvoll neue Anfänge.
Bienenbüttel, im Juni 2024
Kurt Jürgen Schmidt

Hartmut Rosa, Demokratie braucht Religion, Vortrag, 2022
Karl Barth, Die Zukunft des Christentums und des Sozialismus, in: Karl Barth, Band 48, Vorträge und kleine
Schriften, 1914 – 1921, 2012
Paul Tillich, Klassenkampf und Religiöser Siozialismus, in: Carl Heinz Ratschow (Hrsg): Paul Tillich, Hauptwerke
in 6 Bänden, Band 3, Sozialphilosophische und ethische Schriften, 1989
Wikipedia: Artikel: Religiöser Sozialismus