Wer hätte das gedacht? So schnell kann es also gehen, wenn Tyrannen stürzen und ihre Paläste geplündert werden. Eine Frau in Syrien im Interview: Uns wurde eingetrichtert, dass dieses Regime ewig bleiben wird. Und jetzt ist es hinweggefegt. Tausend Jahre Machtanspruch bis zur Kapitulation Vierzig Jahre bis zum Mauerfall.  Fünfundfünfzig Jahre Familientyrannei in Syrien. Immer wieder staune ich darüber, was Menschen dazu bringt, zu glauben, dass sie ewig leben und herrschen können. Nur Ausdruck eines narzisstischen Größenwahns oder nur bösartig?

 

In einem Psalm der hebräischen Bibel heißt es, dass Kampfspieße zerschlagen, Kriegsbogen zerbrochen und Streitwagen im Feuer verbrennen werden, weil Gott mächtiger ist als alle selbsternannten Herrscher der Welt. Und wer das nicht glauben kann, der muss nur lange genug leben, um zu begreifen, dass die Geschichte zeigt, dass alles vergeht. 

 

Für die einen ist das eine Genugtuung und irgendwie auch tröstlich. Andere wollen nicht auf „historische Momente“ warten. Sie wollen Veränderung jetzt! Andere warten mit „brennender Geduld“. Wieder andere haben aufgehört zu hoffen, dass es jemals anders und besser wird. 

 

Der Parteivorsitzende der CDU, Friedrich Merz fordert immer wieder und vehement einen Politikwechsel. Das hat vor ihm auch Christian Linder gefordert und seine politischen Koalitionäre so lange damit traktiert, bis deren Geduldsfaden endlich gerissen ist. Die FDP ist kein Teamplayer. Sie handelt in jeder Koalition eigennützig, wo es doch um größtmögliche Gemeinsamkeit geht. Und so ist ihre ganze politische Grundeinstellung. Wer hat, dem wird gegeben. Es ist das Gegenmodell zur Sozialdemokratie. Ihr geht es um Verteilungsgerechtigkeit und um den Ausgleich von Interessen. Einen Politikwechsel zu fordern ist genauso wohlfeil, wie die Forderung nach Frieden. Alle wollen, dass es besser wird und alle wollen Frieden. Die Frage aber ist doch, was eigentlich anders werden soll und wie das von statten gehen soll. 

 

Und auch dies: Wem soll es besser gehen? Mir selbst, natürlich. Schon klar. Aber soll es zum Beispiel auch den 250 Milliardären in unserem Land besser gehen? Soll das Gesamtvermögen der Reichsten in Deutschland (zehn Prozent) noch steigen - die bisherigen sechzig Prozent des gesellschaftlichen Gesamtvermögens hinaus? Jedenfalls steigt es kontinuierlich. 

 

Fordern geht immer. Aber auf wessen Kosten? Und wem nützt das? Das war schon im alten Rom die Frage. Der Wunsch, dass alles besser wird, mündete – geschichtlich gesehen – oft darin, dass vieles anders wurde, aber nicht unbedingt besser. Und dass ein Politikwechsel bei Lichte betrachtet oft nur ein Herrschaftswechsel war. Vielleicht ist es da besser, auf Kontinuität zu setzen. Das fortzusetzen, was sich auf lange Sicht als gut und richtig erwiesen hat. Die Forderung nach einem Politikwechsel spielt aus meiner Sicht in derselben Liga wie „schnelles Geld machen“. In der Tradition der hanseatischen Kaufleute ging es um „Buten un Binnen - wagen un winnen“ wie am Bremer Rathaus nachzulesen ist. Da ging es in aller Regel um langfristige wirtschaftliche Unternehmungen zu beiderseitigem Vorteil. Das war nicht nur ein, über lange Zeit gut funktionierendes, international aufgestelltes Wirtschaftssystem, sondern auch eine Haltung. Die gemeinsame ethisch-moralische Grundlage war Ehrbarkeit. 

 

Gemeinsam mit den Grünen hat die SPD auf einen Perspektivwechsel in der Energiepolitik gesetzt. Damit die Wirtschaft in Deutschland zukunftsfest wird und Energie langfristig bezahlbar bleibt für den privaten Haushalt. CDU und FDP haben diesen Perspektivwechsel wo sie nur konnten ausgebremst. Die AfD hat erstmals eine Kanzlerkandidatin, Alice Weidel. Das Gesicht einer Partei, die sich selbst für regierungsfähig hält. In Wahrheit ist Alice Weidel aber eine Scharfmacherin. Sie will Deutschland nicht retten, sondern zerstören. Die AfD will einen autoritären Nationalstaat in dem die Medien auf Linie gebracht werden, und ebenso die Rechtsprechung. In dem es um Menschen erster und zweiter Klasse geht und – verdeckt – um die Unterscheidung von Volksdeutschen und Reichsdeutschen – und den Rest, der schleunigst verschwinden soll. 

 

Die Alternative für Deutschland ebenso wie das Bündnis Sarah Wagenknecht sind keine erbaulichen Erscheinungen, sondern zerstörerische und gefährliche „Bewegungen“. AfD und BSW sind keine politischen Alternativen, um mal was anderes zu wählen, weil man meint, dass es die „etablierten“ demokratischen Parteien nicht bringen.  Beide Frauen haben im Übrigen beste Kontakte zu Putin und seinem Kriegsregime. Sarah Wagenknecht habe ich in den ersten Jahren ihrer politischen Aktivität als klug und erfrischend sozialistisch erlebt. Jetzt fühle ich mich verraten. Sich selbst als Führungsgestalt in den Mittelpunkt zu stellen und dies mit der Namensgebung der Partei zu unterstreichen ist für mich Ausdruck einer autoritären Haltung, – also alles andere als sozialistisch. Eine wahre sozialistische Haltung verbinde ich mit der anti-stalinistischen Bewegung des Prager Frühlings von 1968. Da ging es um einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz. Ich war damals als Student in Prag und war begeistert und wenig später tief erschüttert, als Panzer aus den sozialistischen Brudervölkern  - auch aus der DDR -  die friedliche revolutionäre Bewegung niederwalzten. 

 

In wenigen Tagen feiern wir Weihnachten. Gott wird Mensch! Nichts weniger als eine revolutionäre religiöse Idee! Sie geht weitgehend unter in der „Weihnachtsstimmung“. Die Kirche hat in ihrer Geschichte ausdauernd mit den Herrschenden paktiert und diejenigen im Stich gelassen, die in ihrer Gründungsgeschichte eigentlich maßgeblich waren: die armen und elenden Gestalten am Rande der Gesellschaft, die Kranken und Versorgungsbedürftigen, die Kinder und Frauen. In der Geschichte der Kirche hat es jedoch auch immer wieder den Blick für diese Menschen gegeben. Und die Überzeugung, dass Gott gerade in der Begegnung mit den Bedürftigen erfahren und erkannt werden kann. Gott mit einem menschlichen Antlitz!

 

In wenigen Wochen ist Bundestagswahl. Lassen wir das mit dem Blick zurück im Zorn mal beiseite! Jetzt geht es darum, dass die SPD wieder vorwärtskommt und wieder die Regierung bildet. Opposition ist Mist (Franz Müntefering). Aus meiner Sicht geht es für die SPD dabei nicht um einen Politikwechsel, sondern darum, selbstbewusst und zuversichtlich zu sein. Bertold Brecht hat in seinem Gedicht aus dem Jahr 1953 (!) Der Radwechsel die Frage aufgeworfen, ob Bewegung an sich wünschenswert ist. Ich sitze am Strassenhang,/ Der Fahrer wechselt das Rad./ Ich bin nicht gern, wo ich herkomme./ Ich bin nicht gern wo ich hinfahre/ Warum sehe ich den Radwechsel mit Ungeduld? 

 

Die CDU scharrt ungeduldig mit den Hufen. Könnte aber sein, dass die Pferde mit ihr durchgehen. Die SPD hat gute Gründe, sich nicht wieder auf eine Koalition einzulassen, die in sich selbstzerstörerisch ist. Vielmehr sollte sie sich auf ihre eigene alte Stärke besinnen und zuversichtlich bleiben. Das Eintreten für soziale Gerechtigkeit und Frieden hat die SPD in ihrer Geschichte schon immer ausgezeichnet. Und auch heute noch. Was mehr?!

 

Kurt Jürgen Schmidt