Stellungnahme des SPD-Ortsvereins Bienenbüttel zum Bruch des Kirchenasyls für eine russische Familie sowie ihre Abschiebung
Der SPD-Ortsverein Bienenbüttel protestiert gegen die Abschiebung einer russischen Familie aus dem Kirchenasyl in der evangelischen Kirche in Bienenbüttel. Seit 2015 hat es in Niedersachsen mit den Kirchen eine gute, einvernehmliche Praxis gegeben: Kirchenasyl zu dulden - ohne Rechtsanspruch. Kirchenasyl ist oft die letzte Möglichkeit für geflüchtete Menschen, die drohende Gefahr für Leib und Leben infolge einer Abschiebung in ihr Heimatland abzuwenden.
Im konkreten Fall wurde die bisherige Duldung von Kirchenasyl durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) durchbrochen und die fünfköpfige russische Familie abgeschoben. Ein rechtsstaatlich formal korrekter Vorgang, aber ein fatales Signal an diejenigen, die ständig davon sprechen, dass unser Land „überfremdet“ ist. Sie können sich bestätigt fühlen. Die Abschiebung ist mit der oft zu beobachtenden Härte erfolgt und zwar drei Tage vor Ablauf einer gesetzten Frist von sechs Monaten. Nach deutschem Recht wird in der Regel nach Ablauf dieser Frist automatisch Asyl gewährt
Die Familie hatte in Russland ein Besuchervisum für Spanien beantragt und auch erhalten. Ein Besuchervisum für Deutschland wäre wohl kaum gewährt worden. Aber die Familie wollte nach Deutschland, weil hier bereits Verwandte leben. Die beiden Männer in der betroffenen Familie – Vater und Sohn – haben den Kriegsdienst gegen die Ukraine verweigert. Ihre Einberufungsbescheide waren für sie das Signal, Asyl in Deutschland zu beantragen. Die Ehefrau und Mutter ist durch die Erfahrung ständiger Bedrohung in eine schwere psychische Krise geraten. Ein ärztliches Gutachten darüber liegt vor, und mit der medizinischen Behandlung wurde bereits begonnen.
Beides: die Verweigerung des Kriegsdienstes mitten in einem Krieg sowie die schwerwiegende Erkrankung einer Asylsuchenden sind aus unserer Sicht hinreichende Gründe für die Duldung von Kirchenasyl im Härtefall. Das Bamf hat jedoch keinen solchen Härtefall erkannt. Die Landesregierung hat auf die Entscheidungen des Bamf keinen Einfluss. Vielmehr muss sie gegebenenfalls Amtshilfe (Polizeieinsatz) gewähren. Die rot-grüne Landesregierung räumt ein, dass die Abschiebung menschlich gesehen ausgesprochen tragisch sei, aber ihr seien juristisch die Hände gebunden. Die Familie ist schwer traumatisiert. Sie hat bei ihrer Einreise in den Schengenraum den spanischen Boden tatsächlich nicht betreten. Sie ist jedoch mit einem Einreisevisum für Spanien nach Europa eingereist. Wurde dieser Hintergrund von Seiten des Bamf rechtssicher geprüft? Inzwischen befindet sich die Familie in Barcelona. Das Asylverfahren wird jetzt vermutlich nach spanischem Recht durchgeführt.
Aus unserer Sicht wurde hier der Versuch unternommen, einen Präzedenzfall zu schaffen, um künftig bundesweit schneller und effektiver abschieben zu können. Es ist von Seiten der Bundesregierung politisch gewollt, die Asylverfahren zu beschleunigen und mit größerer Härte und Effizienz vorzugehen. Als SPD-Ortsverein fühlen wir uns im konkreten Fall mit betroffen und sind empört, dass das Bamf die Härtefallregelung verweigert hat. Wir sind besorgt, dass künftig Asylverfahren zwar nach Recht und Ordnung korrekt durchgeführt werden, aber das Schicksal der einzelnen Menschen nicht mehr gesehen wird. Eine formal korrekte Auslegung eines Gesetzes bedeutet ja noch nicht, dass der Geist des Gesetzes erfüllt ist.
Das Kirchenasyl im Sinne eines „Heiligtumasyls“ ist uralter kultureller Teil der Menschheitsgeschichte. Es besteht nachweislich seit mehr als zweitausendfünfhundert Jahren in nahezu allen Kulturen. Es galt dem Schutz der Verfolgten. Die Verletzung des Asylrechts galt als Frevel, der göttliche und weltliche Strafe nach sich zog. Wir glauben, dass es politisch und kulturell wichtig ist, sich diesen größeren Kontext bewusst zu machen. Das Kirchenasyl ist kein Privileg der Kirchen, sondern ihre Verpflichtung, die sie im Interesse und zum Wohl der ganzen Gemeinschaft wahrnimmt.
Wir hoffen, dass die niedersächsische Innenministerin Daniela Behrens und die Landesregierung ohne Wenn und Aber zu der im Jahr 2015 mit den Kirchen geschlossenen Vereinbarung steht: In Niedersachsen wird es keine Abschiebungen aus dem Kirchenasyl geben. Wir begrüßen, dass es zeitnah ein Treffen von Vertretern der Landesregiering, des Bamf und der Kirchen geben soll. Wir begrüßen auch, dass die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers und die Kirchengemeinde Bienenbüttel eine rechtliche Prüfung des Vorgangs beschlossen hat. Wir verbinden dies mit der Hoffnung, dass der betroffenen Familie trotz allem am Ende in Deutschland Asyl gewährt wird und wir sie wieder in Bienenbüttel willkommen heißen können.
Für den SPD-Ortsverein Bienenbüttel:
Kurt Jürgen Schmidt