Was tun in dieser Situation?: Kolumne: Glück auf!

Glück auf!
Zu DDR-Zeiten besuchte ich meine Freunde in der Straße der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft (DSF). Und ich erfuhr von ihnen, dass das russische Wort für Freundschaft – Drushba - der Gruß unter den sozialistischen Völkern im Sinne der Völkerverständigung ist. Für abgewirtschaftete sozialistische Volkswirtschaften wie in Venezuela oder Kuba mag das immer noch so sein, aber für die Menschen in der Ukraine sicher nicht mehr. Für viele Menschen in der DDR war die Sowjetunion der große Bruder. Im Guten wie im Schlechten erwartete man von ihm die Lösung von Problemen oder jedenfalls die letzte Entscheidung. Da konnte man machen, was man wollte. War es Freundschaft? In vieler Hinsicht doch wohl nicht. Diktatfreundschaft funktioniert ebenso wenig wie Diktatfrieden.
Nach dem Wahldebakel in Sachsen und Thüringen habe ich den Eindruck, dass die Wählerinnen und Wähler weiterhin auf Problemlösungen und letztgültige Entscheidungen durch Heilsbringer und Erlöserfiguren hoffen. Die da oben müssen es richten. Wir sind doch ohnmächtig. Nur sie können es. Sie sind verantwortlich. Strukturell bedient diese Haltung autoritative Muster und ist jedenfalls weit entfernt von einem demokratischem (Selbst-) Bewusstsein. Das Wahlergebnis zeigt, wohin Angst und Wut führen. Es zeigt auch, wohin es führt, wenn das eigene Handlungspotential nicht gesehen und wahrgenommen und genutzt werden. Aber genau davon lebt Demokratie!
Bei den Wahlen ist es um große politische Themen und gesellschaftliche Herausforderungen gegangen. Also nicht nur um landespolitische Themen: Wie zum Beispiel die Angst davor, wirtschaftlich abgehängt zu werden, keine gute Arbeit zu bekommen, im Hinblick auf den öffentlichen Nahverkehr aufs Abstellgleis zu geraten. Aber auch um das Gefühl, nicht anerkannt zu werden in dem, was man in der DDR geleistet hat und wie zweite Klasse behandelt zu werden. Und auch, dass im Westen nicht verstanden wird, wie mächtig dieses Russland ist und dass es zu nichts führt, sich gegen Russland zu stellen. Und dass deshalb Frieden wichtiger ist als Freiheit und Selbstbestimmung. Unterwerfung und Preisgabe des Eigenen in Kauf genommen werden, wenn einen die Mächtigen nur in Frieden lassen.
Nicht von ungefähr haben die Heils- und Erlösungsversprechungen auf der radikal rechten (AfD) ebenso wie auf der radikal linken Seite (BSW) das Versprechen der „einfachen Lösung“ gemeinsam. Der Einzelne wird davor bewahrt, sich in die Niederungen komplexer politischer, gesellschaftlicher, kultureller, wirtschaftlicher und globaler Zusammenhänge begeben zu müssen.
Was tun in dieser Situation? Was können die demokratischen Parteien tun? Was kann die SPD tun? Ich meine, zuerst einmal die Situation nüchtern einschätzen so wie sie ist. Realistische und klare Analyse. Zum anderen, nicht daran zweifeln, dass die demokratische Idee jeder autoritativen Idee vorzuziehen ist. Dass in der Demokratie die Kraft liegt, kreative und dynamische Prozesse freizusetzen für gute Entwicklungen zum Wohle aller. Und Schritt für Schritt, zielstrebig, beharrlich und verlässlich den für richtig befundenen Weg gemeinsam zu gehen. Und dabei im Reden und Tun überzeugend zu sein. Keine Wunder versprechen. Nicht den Mund zu voll nehmen. Sich nicht an anderen abarbeiten, sondern zu gemeinsam gefundenen und deshalb tragfähigen Kompromissen zu kommen. Sich nicht über den anderen erhaben. Zusammenzustehen in der Koalition. Ideen und Vorhaben erläutern, sich über Gelungenes gemeinsam zu freuen. Nicht belehren und nicht als Besserwisser auftreten, sondern vielmehr mit einer inneren Haltung, nicht herrschen, sondern dienen zu wollen.
Die Landtagswahlen im Osten stehen für eine zunehmend beunruhigende Entwicklung in ganz Deutschland und in Europa. Demokratie, Wohlstand und Frieden können nicht länger als selbstverständlich betrachtet werden. Sie müssen verteidigt werden!
Ist die Zeit der großen, alten Parteien Geschichte? Wird jetzt alles in einer Katastrophe enden? Es kommt mir das Grauen angesichts des ganzen Schlamassels. Die meisten politischen Reden, die ich kenne bedienen sich der Abgrenzung (und Ausgrenzung) des Anderen und haben das Ziel, ihn zu entwerten oder bloßzustellen. Nicht Wohlwollen, sondern geballte Ladungen Aggression halten unsere politischen Gespräche in Gang. Mit dem Blick in die deutsche Geschichte hat es schon oft (selbst)zerstörerisches Potential gegeben. Deshalb brauchen wir dringend eine andere politische Kultur. Auf allen Ebenen der Gesellschaft. Deshalb brauchen wir eine politische Haltung und Regierungsverantwortung, die das Gemeinwohl im Blick hat. Tatsächlich, nicht nur als wohlfeiles Gerede. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!
Warum fällt es so viel einfacher, den Finger auf Fehler und Defizite zu legen, anstatt das schon erreichte Gute anzuerkennen? Könnte es sein, dass dies auch zutrifft für die Arbeit der Koalitionsregierung? War doch von Anfang klar, dass diese Kombination eigentlich gar nicht geht! Die Grünen und die SPD haben aber trotzdem und bei Lichte betrachtet eine erstaunlich gute Arbeit gemacht! Diese im Grunde ganz unmögliche Koalitionsregierung hat uns doch trotzdem gut durch Pandemie, Wirtschaftskrise und den Krieg in Europa geführt. Ja, es gibt auch vieles, das unbefriedigend geblieben und ungelöst ist. Aber möchten wir wirklich eine illiberale, autoritäre, fremdenfeindliche und nur auf uns selbst bezogene Politik und Kultur erleben? Es geht doch in einer Demokratie weniger um Durchsetzung der eigenen Vorstellung, sondern um die Kunst, Kompromisse zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger zu schließen. Nicht so sehr um Selbstdarstellung, sondern um Dienst für das Gemeinwohl.
Nach Aristoteles ist Freundschaft die Grundvoraussetzung eines lebendigen Gemeinwesens. Dazu gehör, dass ich dem anderen nicht misstrauisch, sondern wohlwollend begegnen und das Gute im anderen erkenne und anerkenne. Das geht nur, wenn ich nicht blockiert und verbiestert bin. Gegenseitige Entwertung und gegenseitiger Hass machen uns blind für eine konstruktive Beziehung.
Im Hinblick auf die ostdeutsche und die westdeutsche Mentalität braucht es wahrscheinlich eine lange Periode gemeinsamer, positiver Erfahrung. Jedenfalls länger, als von vielen erhofft und erwartet wird. Wir brauchen mehr positive Erzählungen über unser Land, unseren Rechtsstaat, über soziale Leistungen, über unsere Demokratie – und übereinander. Keine Lügengeschichten, kein Niedermachen des Anderen, aber auch keine Lobhudelei. Sondern gute, wahrhaftige Erzählungen über das Gute bei uns, im Anderen und – warum nicht? – auch über uns.
Die SPD als älteste demokratische Partei in Deutschland hat da viel zu bieten. Sie kennt Höhen und Tiefen. Und sie weiß, wie wichtig es ist, klare Botschaften zu senden, konstruktiv zu handeln und in allem verlässlich zu bleiben. Deshalb können wir mutig und zuversichtlich sein. Wir kommen wieder heraus aus der Talsohle, wenn wir dranbleiben und das Notwendige und Gute tun. In diesem Sinne: Glück auf!
Bienenbüttel, 2. September 2024
Kurt Jürgen Schmidt
